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Reisebericht Franz-Josef-Land (Russland)


Kraftprotz auf Arbeitsuche


Nicht nur die Eisbären leiden unter dem Klimawandel und dem stets dünner werdenden Eis, auch die russischen Eisbrecher werden nach und nach arbeitslos. In den Sommermonaten braucht es immer weniger dieser Kraftprotze, um die Nordostpassage offen zu halten. Einige sind deshalb auf Jobsuche.

Die «Kapitan Dranitsyn» ist fündig geworden: Als Expeditionsschiff mit 90 Passagieren. Ziel: Der nördlichste Punkt des eurasischen Kontinents: Franz-Josef-Land.


Wer 25‘000 PS unter der Haube hat und ein stolzer Eisbrecher ist, der sehnt sich nach dickem Packeis. Genau das wollten auch die Passagiere. Nur: Da war keins! Nicht auf der langen Hinfahrt vom russischen Hafen Murmansk auf der Barentssee, nicht oben bei Ankunft in Franz-Josef-Land – überall nur offenes Wasser. Also musste sich unser Eisbrecher mit seiner überschüssigen Kraft auf Eissuche machen. Er dampfte so lange gegen Norden, bis er fündig wurde, bis rauf zum 82. Breitengrad, zum nördlichsten Punkt von Franz-Josef-Land, auf die Höhe der Rudolf-Insel.

Allerdings war auch dieses Eis noch kein echter Challenge für den Kraftprotz, der Packeis von fast zwei Metern Dicke knacken kann. Durch «unser» Eis fuhr die «Kapitan Dranitsyn» wie durch Butter, und nur einmal, bei einer etwas üppigeren Verwerfung, brauchte sie die volle Kraft ihrer drei Propeller.

Franz-Josef-Land?
Osterreich am Nordpol?


Das Archipel, aus 191 Inseln bestehend, befindet sich zwischen dem 80. und dem 82. Breitengrad, liegt rund 1200 km nördlich von Murmansk und gehört zu Russland. Wieso wurde es dann nach dem österreichischen Kaiser Franz Josef benannt?

Das kam so: 1872 wollte eine österreichisch-ungarische Expedition die Nordostpassage finden und so nebenbei auch noch als Erste den Nordpol erreichen. Der Mut war gross, die Zuversicht auch, aber der Sommer 1872 war so kalt, dass das Dampf-/Segelschiff «Tegetthoff» unter ihren Expeditonsleitern Karl Weyprecht und Julius von Payer schon auf halber Höhe von Nowaja Semlja bei 76o Nord ins Packeis geriet und hoffnungslos einfror.


Spielball der Eisdrift


Fortan waren die Polarpioniere keine Entdecker mehr, sondern wurden während Monaten zum Spielball der Eisdrift. Mal ging es auf der Eisscholle nordwärts, mal nach Osten oder Westen, mal wieder rückwärts. Wochen und Monate vergingen, und schliesslich endete die unkontrollierbare Irrfahrt bei 79o Nord an einem Punkt, bei dem die damaligen Karten mit weissen Flecken glänzten. Ende Oktober 1872 brach die Polarnacht über die unglücklichen «Entdecker» herein; die erste Überwinterung im Eis stand bevor. Das war auf dem relativ komfortablen Schiff, das über genügend Vorräte für Jahre verfügte, weiter kein Problem. Zudem hoffte man natürlich, dass der kommende Sommer die «Tegetthoff» aus dem Eis befreien würde – aber diese Hoffnung zerschlug sich schon bald: Man sass weiter in der Eisfalle.


Die Pioniere, allen voran der österreichische Alpinist und Kartograph, Julius von Payer, wurden ungeduldig, man wollte doch neue Länder entdecken! So machten sie sich am Ende der Polarnacht 1873 zu Fuss und mit Schlitten auf, um die eisige Gegend zu erkunden, natürlich nordwärts. Im August 1873 kam endlich Land in Sicht. Unbekanntes Land, das einen Namen brauchte. Sein Entdecker, Julius von Payer, benannte es nach seinem Kaiser: Franz-Josef-Land.


Geologische Sensationen

Schon bei unserem ersten Stopp in der Tichaja-Bucht bei der Insel Hooker wurden wir mit den auf Franz-Josef-Land typischen Basaltplateaus vertraut gemacht: dem beeindruckenden Rubini-Vogelfelsen, auf dem zig-, ja hunderttausende von Lummen, Möwen und Gryllteisten brüten. Die erstarrten Lava-Basaltsäulen können 6-, oder 8-eckig sein, auf jeden Fall bilden sie eine flache Ebene und sind so ein idealer Untergrund für die brütenden Vögel.

Unter Geologen noch berühmter ist die Insel Champ mit ihren wundersamen Steinkugeln von der Grösse eines PingPong-Balles bis zu den Giganten von drei Metern Durchmesser.

Wie entstehen diese Steinkugeln?

In der Fachsprache heissen sie «Konkretionen». Sie sind Teil der Bodenbildung. Man muss sich das so vorstellen: Am Anfang steht ein Kern – das kann ein Ammonit, ein Skelett oder auch nur ein Sandkorn sein, das sich im Boden befindet. Durch ständiges Zufliessen von Sickerwasser, das durch die Poren des Sandsteins dringt, entsteht eine Art «Zement», zum Beispiel aus Kieselsäure oder Eisen, der im Laufe der Jahrtausende Schicht um Schicht um den Urkern aufbaut und die Kugel – noch immer im Boden – grösser und grösser werden lässt. Durch den Zement und der damit einher gehenden chemischen Reaktion wird die Oberfläche der Kugel viel härter als der sie umgebende Sandsteinboden.

Nun kommt der zweite Teil, der ebenfalls wieder zig- oder hunderttausende von Jahren dauern kann: Die Erosion. Der Boden wird von ihr langsam abgetragen, und die Kugel gelangt nach und nach an die Oberfläche. Da sie viel resistenter ist als der Sandsteinboden, liegt sie schliesslich frei in der Landschaft. Faszinierend.

Eisbären ohne Eis

Dass durch den Klimawandel den Bären das Eis unter den Füssen wegschmilzt, hat man schon oft gelesen oder gehört. Aber weit dramatischer wird die Sache, wenn man das selbst erlebt. Tatsächlich sahen wir viele Bären – an Land! Ein trostloser Anblick: der König der Arktis am schwarzen Sandstrand oder gar im Gras. Jenen Tieren, die den Anschluss ans Eis verpasst haben (das sich immer weiter nach Norden zurückzieht), bleibt nichts anderes übrig, als aufs Festland auszuweichen, also auf eine Insel. Da es hier aber keine Robben gibt, fehlt den Bären die Hauptnahrung, die sie brauchen, um sich das Fett für den Winterschlaf anzufressen.

Zwar ist der Bär ein Allesfresser, der notfalls sogar von Gras leben könnte, aber das wäre dann höchstens ein Überleben. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wäre eine Bärin nicht in der Lage, aus Gras die Milch zu produzieren, die es für die Aufzucht der Jungen braucht. Natürlich fällt auch auf einer Insel hie und da mal was «Fettiges» ab, ein angespülter Wal oder ein verendetes Walross. Und da der Eisbär auch Aas verdauen kann, wird er es irgendwie schaffen zu überleben. Interessant ist auch, dass sich der Polarbär mit dem Braunbären paaren kann. Sollte also das Eis so weit schmelzen, dass der Bär an Land leben muss, wartet eine neue Zukunft auf ihn: als Braunbär. In ein paar tausend Jahren gibt es mit Sicherheit wieder eine Eiszeit, und dann mutiert der Braunbär eben wieder zum Polarbären.

Auch Walrosse sind in Gefahr

Eigentlich haben Walrosse keine Feinde. Nicht mal ein Eisbärengebiss kann ihre dicke Haut und den Blubber durchdringen. Und die verletzlichen Jungtiere werden von der Kolonie sorgsam in die Mitte genommen, nach aussen geschützt von mächtigen Exemplaren mit riesigen Elfenbeinzähnen, vor denen sich sogar der Eisbär fürchtet. Gefahr droht den massigen Tieren vielmehr von anderer Seite: Sie ernähren sich ausschliesslich von Muscheln und Schnecken, die sie am Meeresboden finden. Allerdings ist ihre Tauchfähigkeit nicht unbegrenzt. Sollte sich die Eisplatte, auf der sie normalerweise leben, weiter gegen Norden zurückziehen, dann erreichen sie ihren Futterplatz nicht mehr. Denn dort kann das Meer bis 4‘000 Meter tief sein.

Auf unserer Fahrt trafen wir bei der Apolonov-Insel auf eine beachtliche Kolonie von einigen Dutzend Tieren, die wir aus unseren Zodiacs in nächster Nähe schwimmend beobachten konnten. Ein beeindruckendes Erlebnis!

Fritz Kleisli, August 2010











 

>Fotogalerie



Unser Eisbrecher, die «Kapitan Dranitsyn»
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Endlich im Eis! Auf 82 Grad Nord...
Hier wurde Franz-Josef-Land entdeckt: am
Kap Tegetthoff
Monströser Basaltfelsen: der Rubini-Rock, Hort für tausende von Vögeln
Franz-Josef-Land ist fast vollständig von Eis und Gletschern bedeckt.
Dickschnabellummen brüten auf dem Basalt
Geheimnisvolle Steinkugeln, das Wahrzeichen der Insel Champ
Dünner und dünner werdendes Eis...
...und immer mehr Polarbären müssen aufs Land ausweichen. Hier liegt einer im Schnee.
Auch Walrosse würden sich lieber auf ihrer Eisscholle tummeln als an Land...