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Reisebericht Island 2002


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Im Spalt zwischen Europa und Amerika


Island? Ist das nicht jenes kleine Inselchen im hohen Norden irgendwo im Atlantik? Wo’s Gletscher und Vulkane und heisse Quellen gibt? Wo’s saukalt und windig ist, wo’s viel regnet und wo im Sommer immer Tag herrscht und im Winter immer Nacht? So was in der Richtung hatten wir im Kopf, als wir uns im Frühjahr 2002 entschlossen hatten, diesem Eiland einen Besuch abzustatten. Wir entschieden uns für den August, weil man uns das als die beste Reisezeit empfahl.


Fazit: Es war überwältigend! Eine abenteuerliche Entdeckungsfahrt von über 2’000 Kilometern im Mietwagen, rund um und quer durch die Insel. Und eins ist jetzt klar: Unsere ursprünglichen Vorstellungen von diesem «Inselchen im hohen Norden» waren ziemlich falsch...


Erstens ist die Insel alles andere als klein: sie ist zweieinhalbmal grösser als die Schweiz, nämlich über 100’000 Quadratkilometer gross, ja, sie ist sogar die grösste rein vulkanische Insel der Welt. Zweitens liegt sie nicht im hohen Norden, sondern knapp unter dem Polarkreis, was bedeutet, dass es weder im Sommer eine Mitternachtssonne noch im Winter die ewige Nacht gibt. Drittens ist «Eisland» keineswegs saukalt, weder im Winter noch im Sommer, die Temperaturen sind erstaunlich ausgeglichen. Die Sommer sind zwar deutlich kühler als bei uns, aber die Winter dafür weniger hart, was mit dem Golfstrom zu tun hat, der die Insel ständig umströmt. Und viertens liegt die Insel nicht «irgendwo» im Nordatlantik, sondern – und das ist nun der Clou des Ganzen – genau im Spalt zwischen den beiden Kontinentalplatten Amerika und Eurasien. Und hier beginnt nun die spannende Geschichte der noch jungen Insel Island...


Eine Insel wird geboren – aus dem Nichts


Man muss sich das so vorstellen: Der Planet Erde ist auch nach drei, vier Milliarden Jahren seit seiner Entstehung immer noch eine glühende Kugel, in seinem Innern voll von flüssigem Magma, das sich nur sehr langsam abkühlt. Darauf schwimmt eine relativ dünne Erd- und Gesteinsschicht, nur ein paar Kilometer dick. Diese Erdschicht ist nicht zusammenhängend, sie wächst und verschiebt sich unaufhörlich, zwar nur millimeterweise, aber stetig. Es eilt ja nicht, im Gegensatz zu uns verfügt die Natur über Millionen und Milliarden von Jahre...


Am Meeresboden des Atlantischen Ozeans treffen zwei Kontinentalplatten aufeinander: Eurasien und Amerika. Diese beiden Platten driften langsam voneinander weg, vielleicht einen Zentimeter pro Jahr oder so. Es bildet sich ein Spalt. Und so geschieht es, dass das glühende Magma unter den Platten immer wieder seinen Weg nach oben findet. Meist passiert das kilometertief unter Wasser, von uns Menschen unbemerkt. Manchmal kommt es aber vor, dass der Druck der Gase und die Menge des Magmas so mächtig sind, dass es für den Aufbau von ganzen Lavagebirgen reicht – und so kann eine neue Insel entstehen. Vor etwa 15-20 Millionen Jahren ist das im Falle von Island passiert. In unaufhörlichen Explosionen und Eruptionen hat sich über der Interkontinentalspalte ein riesiger Berg von vulkanischem Material gebildet, der wuchs und wuchs, bis er schliesslich mehr als 2000 Meter über den Meeresspiegel ragte und eine Fläche von über 100’000 km2 bildete.


Das Spannende an der Sache ist, dass solche Inselgeburten keine vorgeschichtlichen Ereignisse sein müssen, sondern dass sowas sich auch heute noch vor unseren Augen abspielen kann! Der Beweis: Vor rund 40 Jahren konnte dieses Schauspiel 30 km vor Islands Küste verfolgt werden, als im Süden die Insel Surtsey entstand, benannt nach dem nordischen Feuergott Surtur. Es muss ein unglaubliches Ereignis gewesen sein, und ich bereue es zutiefst, das nicht mit eigenen Augen erlebt zu haben! An einem Novembertag des Jahres 1963 hatten sich erste Anzeichen für eine vulkanische Tätigkeit im Meer draussen gezeigt, denn es stiegen Gaswolken und feinkörnige Asche auf – bis in eine Höhe von 8000 Metern! Am Meeresboden tobte der Kampf zwischen dem entstehenden Vulkan und dem Wasser. Das glühende Magma siegte schliesslich und baute sich so hoch auf, das ein Kegel bis über den Meeresspiegel ragte. Eine Explosion nach der anderen förderte jahrelang glühende Lava und setzte sich ab, bis schliesslich 1967 eine Insel von 2,5 km Länge und 188 Meter Höhe entstanden war. Dann erlosch der Vulkan.


Wann kommt der nächste Ausbruch?


Es ist ein irres Gefühl, sich auf einer Vulkaninsel zu bewegen, von der man weiss, dass unter ihrer Lavadecke oder unter den Gletschern alles noch «lebendig» ist, dass ein Vulkanausbruch jederzeit und praktisch überall möglich ist. Wohin man auch kommt, überall liegen Zeugen des Vulkanismus in Form von Kratern, Kegeln, Lavamassen bizarrster Formen, dampfender Erde, kochenden Wassers. Besonders attraktiv sind natürlich die berühmten heissen Quellen und die Geysire, die ihre Fontänen in unregelmässigen Abständen gegen den Himmel spucken. Da stehen dann die Menschen gebannt rund um ein blubberndes Wasserloch und warten auf den nächsten Ausbruch, der ganz sicher kommt – nur weiss man nie genau wann: mal dauerts eine Viertelstunde, mal explodiert das Wasserloch kurz hintereinander im Minutentakt. Faszinierend!


Durch Islands Gesteinsmassen hindurch ziehen sich kilometerlange Spalten, an denen die «Haut» besonders dünn ist. Dort trifft man immer wieder auf Höhlen, die heisses Wasser führen. Ganz Island wird mit geothermischer Energie geheizt, die die Menschen aus dem Erdinnern holen. Dafür sind Bohrungen von bis zu ein paar Kilometern nötig, um an den heissen Dampf zu gelangen, der Turbinen für die Elektrizitätsgewinnung treibt oder als Wärme für Fernheizungen verwendet wird. «Abfallprodukte» solcher Energiewerke sind Seen mit rund 40-grädigem Wasser, in denen die Leute das ganze Jahr über baden können. Da das Wasser schwefelhaltig ist, stinkts ziemlich penetrant nach Hölle, aber es soll dafür gesund sein und Schuppenflechte und dergleichen heilen. Natürlich haben wir uns auch in einen solchen See gewagt – und dann zwei Tage später noch den Schwefelgestank auf unserer Haut gerochen.


Imponierende Gletscher und Wasserfälle


Rund 10% Islands sind mit Gletschern bedeckt, die teilweise hunderte von Metern dick sind. Das war nicht immer so. Als die Insel vor 15-20 Mio Jahren entstand, da herrschte ein warmes Klima, das etwa jenem des heutigen Europas entsprach. Erst vor zwei Mio Jahren hatten sich die ersten Gletscher gebildet, dann folgte eine ganze Reihe von Wärme- und Eiszeiten – 18 sollen es gewesen sein – und vor etwa 700’000 Jahren war Island ein echtes «Eisland» mit 10 grossflächigen Gletschern, wobei die ganze Südhälfte der Insel unter einer kilometerdicken Eismasse lag, die bis ins Meer reichte. Vor 12’000 Jahren setzte dann eine Wärmeperiode ein, die sämtliche Gletscher zum Verschwinden brachte, sodass die Insel um ca. 3’000 v.Chr. vollkommen eisfrei war. Dann wurde es langsam wieder kalt, und es bildeten sich neue Eismassen. Heute, d.h. seit rund 100 Jahren, befindet sich «Iceland» wieder in einer Wärmephase – die Gletscher schwinden nach und nach und ziehen sich langsam auf die Bergregionen zurück. Durch die heute stattfindende globale Erwärmung beschleunigt sich der Rückgang noch, und gewaltige Mengen von Wasser fliessen tagtäglich durch unzählige Ströme nach allen Himmelsrichtungen ins Meer.


Ideale Bedingungen natürlich für die schönsten Wasserfälle. Wir haben die attraktivsten besucht – ein überwältigendes Schauspiel, wenn die Wassermassen nach unten donnern und die Menschen winzig klein erscheinen lassen...


Einen einzigen Gletscher gibt es noch, der fast bis zum südlichen Meerufer reicht, der Vatnajökull, es ist der grösste der Insel, dick und mächtig. Und an seinem Fuss liegt eine Sehenwürdigkeit, die unvergleichlich schön ist: die Gletscherlagune Jökulsarlon. Wir hatten das seltene Glück, diese Lagune bei strahlendem Sonnenschein und tiefblauem Himmel zu erleben. Ehrlich – etwas Schöneres kann man sich kaum vorstellen! In dieser Lagune, die zwischen dem Gletscherfuss und dem Meer liegt, schwimmen Hunderte von Eisbergen, riesige Brocken ebenso wie kleine glitzernde Eiskunstwerke der Natur, die durch die Erwärmung vom Gletscher abgesplittert sind und dann gemächlich-lautlos zum Meer runter gleiten, manchmal aber auch jahrelang in der Lagune dümpeln, bis sie ihren Weg ins Meer gefunden haben. Es ist ein sehr touristischer Ort, mit dem Vorteil, dass auch was geboten wird: Man wird nämlich mit einem Amphibienfahrzeug (eigentlich ein Schiff mit Rädern) durch die Lagune geführt, ganz nah an den Eisbergen vorbei, eindrücklich und unbeschreiblich schön – auch hier gilt: Bilder sagen mehr als tausend Worte.


Natur pur – und ein paar Menschen


Ganz Island ist ein Naturpark von unvorstellbarer Grösse, Schönheit und Vielfalt. Die Landschaft reicht von moosgrünen Ebenen, auf denen Schafe weiden, bis zu kraterübersäten mondähnlichen Wüsten, auf denen die NASA für ihre Mondlandung 1969 übte. Und von Seen, Flüssen und Gletschern bis zu Schneebergen und Vulkanen jeder Art und Grösse, ein Eldorado für Geologen, aber auch für Menschen, die einfach die Natur und die Einsamkeit mögen. Einsam ist man hier wirklich, denn die Insel ist extrem dünn besiedelt: Auf den über 103’000 km2 wohnen gerade mal 280’000 Menschen, das macht 2,8 Menschen auf den Quadratkilometer – zum Vergleich: in der Schweiz sind es 170 Leute pro km2! Und von den 280’000 wohnen etwa 200’000 in den Städten, der Rest teilt sich die Riesenfläche mit einer halben Million Schafe und 80’000 Islandpferden. Auf den Strassen ausserhalb der Städte kann es zwar vorkommen, dass man mal auf ein Auto trifft (so alle zehn Minuten...), meist ist es dann aber ein Mietwagen eines Besuchers. Die sesshaften Ausländer machen nur gerade 2% der Bevölkerung aus, die meisten davon Schweden und Norweger... – für Kosovoalbaner, Jugoslawen und Ghanesen scheint das Land keine grosse Anziehungskraft auszuüben.


Die Isländer, sanft und ruhig


Kein Wort zu viel, keine Geste zu viel – so wirkten die Isländer auf uns. Bis man eine ausführliche und brauchbare Antwort bekommt, muss man schon ziemlich Geduld aufbringen. Das hat aber auch seine guten Seiten. Nie haben wir einen aggressiven Isländer erlebt, Autofahren auf Islands Strassen ist eine Wohltat für die Nerven, sogar in der Stadt. Keine Raser weit und breit, höfliches Vortrittlassen ist angesagt, und in Eile scheint eh niemand zu sein, die Tempolimiten werden klaglos eingehalten. Woher diese Ruhe? Das hängt wohl in erster Linie mit der dünnen Besiedlung zusammen – wo genügend Platz ist, geht man sich weniger auf die Nerven, logisch. Da verwundert es auch nicht, dass man sich auf Island rundum sicher fühlt. Die Vorstellung, dass hier etwas gestohlen werden könnte, scheint irgendwie absurd. Und auch die Isländer selbst scheinen noch kaum mit «schlechten Menschen» in Kontakt gekommen zu sein, so blauäugig und vertrauensselig erschienen sie uns. Den Hafen von Reykiavik kann man zum Beispiel ohne jede Einschränkung auskundschaften, man kommt auf einen Meter an jedes Schiff ran, sogar im militärischen Bereich! Da lag doch tatsächlich ein menschenverlassenes U-Boot modernster Bauart vor Anker, direkt an der Mole, die Luke offen, samt einladender Gangway zum Boot, völlig unbewacht... und an der Leiter zur Luke ein handgeschriebener Zettel mit den Worten «No visitors, please!». Die Vorstellung, dass ein böswilliger Passant das Boot mit zwei Handgranaten hätte versenken können – der Kommandoturm stand offen wie ein Scheunentor – scheint hier niemandem gekommen zu sein. Was für eine heile Welt, was für ein friedliches Völkchen!


Die isländische Friedfertigkeit zeigt sich auch in der politischen Grundhaltung. Im zweiten Weltkrieg liess man es zwar zu, dass die Briten und die Amerikaner hier Stützpunkte gegen Hitler-Deutschland einrichteten, zumal ja das damalige Mutterland Dänemark von der deutschen Wehrmacht besetzt war. Als der Krieg dann vorbei war, trat Island in die NATO ein, allerdings unter der Bedingung, keine eigene Armee aufstellen zu müssen...

Und noch ein schönes Beispiel für die Gutgläubigkeit und die Vertrauensseligkeit dieser Isländer. Bei der Rückgabe unseres Hertz-Mietwagens, mit dem wir eine volle Woche und mehr als 2000 Kilometer unterwegs waren, und das zum Teil auf ziemlichen Rumpelpisten, die dem Fahrzeug alles abgefordert hatten, gingen wir zum Mann am Schalter: «Wir bringen unseren Wagen zurück, hier sind die Schlüssel». Der gute Mann nahm die Schlüssel ohne ein Wort zu sagen – und das wars dann. Er stand nicht mal auf. Keine Kontrolle des Tachos, der Tankfüllung, nicht mal einen Blick aufs Fahrzeug, keine Unterschrift, nichts. Der Mann sah das ganz cool: Wenn wir den Wagen verbeult hätten, dann hätten wir das sicherlich gesagt... na also, da konnte er doch die Füsse auf dem Tisch lassen!


Wale beobachten statt jagen


Zwei Drittel des Volkseinkommens stammen in irgend einer Form aus der Fischerei, das heisst aus dem Fischfang und neuerdings aus der Fischverarbeitung, die eine immer grössere Rolle spielt. Der Tourismus steht inzwischen bereits an zweiter Stelle des Wirtschaftseinkommens, und unter diese Sparte fällt das immer wichtiger werdende «Whale Watching», das in mehreren Küsteorten angeboten wird. Bereits besteht eine beträchtliche Flotte an Walfang-, pardon Walbeobachtungsschiffen rund um die Insel. Statt Wale zu fangen und sich in der Welt deswegen unbeliebt zu machen (was dem Tourismus schaden und Island der Gefahr von Boykotten aussetzen würde) setzt man heute vermehrt auf dieses sanfte Geldverdienen mit Walen.


Wir wollten natürlich auch wissen, wie sowas abläuft und entschieden uns für einen Ausflug im nördlichen Fjord von Husavik. Unser Schiff war ein formschöner, guter alter Fischerkutter aus Eichenholz, Baujahr 1960, und umgebaut für solche touristischen Ausflüge, bei denen etwa 40 Personen auf Deck Platz finden. Gemäss Werbeprospekt trifft man in 99% aller Ausfahrten auf Wale. Die scheinen sich von diesen Booten nicht gross stören zu lassen und haben erkannt, dass ihnen von diesen keine Gefahr droht. Allerdings braucht es trotzdem Glück, etwas Besonderes zu sehen, denn die 99% Treffsicherheit gründet auf der Sichtung von Zwergwalen, von denen man meist nur die Rückenflosse sieht...


Wir aber hatten Glück! Nach einer Stunde Fahrt Richtung offenes Meer – es war eisig kalt und wir froren erbärmlich – sichteten wir die ersten Zwergwale, respektive ihre Rückenflossen. Wenigstens das, dachten wir und stellten uns auf zwei weitere Stunden Frieren ein. Aber auf einmal schoss Adrenalin in unsere erstarrten Glieder, als wir die Fontäne eines ausblasenden Wals entdeckten. Unser Kutter nahm Fahrt auf und versuchte sich dem Koloss zu nähern. Es war ein riesiger Buckelwal, den man nur sehr selten zu Gesicht bekommt. Er tauchte aber kurzerhand weg, und gespannt suchten 40 Augenpaare die Meeresoberfläche auf beiden Seiten des Kutters ab. Minuten vergingen. Da! Plötzlich kam er wieder rauf, blies seine Fontäne und zeigte seinen gewaltigen Rücken. Das wiederholte sich ein paar Mal, und dann bäumte sich das mächtige Tier zu einem so genannten «deep dive» auf (d.h. zu einem langen Eintauchen, bei dem der Wal dann 8-9 Minuten unten bleibt), und präsentierte seinem Publikum beim ungestümen Abtauchen nicht nur seinen mächtigen Rumpf, sondern kurz vor dem endgültigen Eintauchen auch seine imposante Schwanzflosse. Genau so, wie wir es auf dem Werbeprospekt der Whalewatcher-Firma sahen! Aber diesmal live! Ein grosser Moment, ein tiefgehendes Erlebnis. Mit stolzgeschwellter Brust fuhren wir nach drei Stunden in den Hafen von Husavik zurück. Wir hatten ihn gesehen, den Buckelwal. Wir! Und nicht die «normalen 99%-Touristen», die sich mit Zwergwalen begnügen müssen...! Wow!


Fritz Kleisli, August 2002




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