O-k-a-v-a-n-g-o, ein Wort, das einem auf der Zunge schmilzt. Wir hörten es zum ersten Mal im Herbst 2007, als wir in Namibias Nationalparks unterwegs waren. Von Profi-Fotografen, die nicht mehr aufhören wollten, von diesem Okavango-Delta, seiner Schönheit und seiner Tierwelt zu schwärmen. Da war uns klar: da mussten wir auch hin!
Wo der Okavango entspringt, weiss man ziemlich genau: Im Hochland von Angola. Was hingegen nicht so klar ist wie bei «normalen» Flüssen, ist seine Länge – die Angaben schwanken zwischen 1600 und 1800 Kilometern. Der Grund: Der Okavango hat zwar eine Quelle, aber kein messbares Ende. Sein Leben endet in der Wüste von Botswana, wo das Wasser in den Sümpfen des Okavango-Deltas versickert und verdunstet.
Während der Flutperiode schwillt das Delta auf die unvorstellbare Grösse von 20‘000 km2 an (zum Vergleich: die ganze Schweiz hat 40‘000 km2).
Die Anreise ins Okavango-Delta ist relativ einfach: Man fliegt nach Johannesburg (Südafrika), von dort nach Maun (Botswana), und dann mit einem kleinen Flugzeug weiter zur Lodge, die man gebucht hat. Wir hatten uns für «Little Kwara» entschieden, das im nördlichen Teil des Deltas liegt. Fünf Hütten im Busch, ohne Strom, ohne Handyempfang. Kwara, so dachten wir, muss ein kleines Eingeborenendorf sein. Aber nein, nichts. Gar nichts. Nur eine Landepiste für die Kleinflugzeuge, und dort an einen Baum genagelt ein Ersthilfe-Kasten. Dörfer und Menschen gibt es hier keine. Wovon wollten diese hier auch leben? Das Jagen ist verboten, seit das Delta 1975 zum Naturschutzpark erklärt wurde. Die freundlichen Leute, die uns vom Flugzeug abholten, sind ganz und gar im Tourismus tätig – die einzige
...im Boot auf den Kanälen der Sümpfe.
Zweimal täglich auf dem Game-Drive, entweder im Geländefahrzeug oder...
Einnahmequelle, die bleibt. Allerdings eine ziemlich lukrative. Denn offenbar generiert der Tourismus etwa 40% der Staatseinnahmen von Botswana (falls die Zahl stimmt – recherchiert haben wir sie nicht).
Was wir vorher auch nicht wussten: Botswana soll der grösste Schmuckdiamanten-Produzent der Welt sein! Und: Botswana ist eines der wenigen afrikanischen Länder, das nie eine wirkliche Kolonie der Europäer war – es war nur ein Protektorat der Engländer (bis 1966), die das Land aber in Ruhe liessen – im Guten (keine Ausbeutung) wie im Schlechten (keine Entwicklungshilfe). Seit über 40 Jahren ist Botswana total unabhängig und hat eine demokratisch gewählte Regierung. Am Flughafen von Maun hing ein grosses Plakat: «Null Toleranz für Korruption in Botswana». Klingt gut.
Das Land ist riesig:15x grösser als die Schweiz, zählt aber nur etwa 1.8 Mio Einwohner. Und über 100‘000 Elefanten, Anzahl steigend. Was nach und nach zum Problem wird. Man experimentiert bereits mit der Verabreichung von Antibabypillen, doch ist das nicht so einfach, denn man muss die gleichen Muttertiere drei mal behandeln, was ein riesiger administrativer Überwachungsaufwand ist. Auch «Culling» ist ein Thema, das ist ein etwas beschönigender Ausdruck für Killing: man schiesst erwachsene Tiere ab und fängt die «Waisenkinder» ein, die dann umgesiedelt oder an Zoos im Ausland verkauft werden.
Von den angeblich 100‘000 Elefanten haben wir allerdings nicht viel mitbekommen, wir sahen nur einzelne Tiere, keine Herden und schon gar keine Massenwanderungen, wie man das von den Gnus in Kenia und Tansania kennt. Der Grund, so hiess es, sei die «falsche» Jahreszeit: Wenn es überall Wasser gibt, dann braucht niemand zu wandern. Das leuchtet ein. Vielleicht wäre es besser, im Juli oder August hierher zu kommen. Aber dann ist hier Winter, und die Nächte sollen lausig kalt werden, bis zum Gefrierpunkt hin tendierend, nein danke! Zudem: Tiere haben wir trotzdem viele gesehen – sogar ein Löwenbaby und massenhaft Flusspferde und herrliche Vögel.
Mokoro heissen diese Eingeborenen-kanus. Sie sind zwar nicht mehr wie früher Holzeinbäume, sondern aus Kunststoff gefertigt, aber das macht die Sache um nichts besser. Mokorofahrten sind einer der touristisch angepriesenen Highlights im Okavango-Delta, also muss man das auch erleben. Dachten wir. Aber kaum sitzt man in diesem Nichts von einem Wackelboot, ist Schluss mit lustig.
Erstens darf man sich kaum rühren, damit es nicht kentert, und zweitens finden es die «Ureinwohner» des Sees überhaupt nicht lustig, dass man sie stört. Und von Tourismus halten diese Fleischkolosse auch nicht viel. «Neinnein, die sind völlig harmlos», versucht einen der Ranger zu beruhigen, «die tauchen nur auf, um uns zu begrüssen...».
...aber dann tauchen immer mehr auf. Und dann noch einer, und noch einer, und plötzlich sind zehn, zwölf Augenpaare auf einen gerichtet. Und du sitzt in diesem Wackelding und weisst genau: Wenn nur einer davon mit seinen anderthalb Tonnen deinen Einbaum leicht antupft, dann liegst du im Wasser. Und das ist definitiv nicht dein Element – sondern seins.
Dann versuchst du nur noch, dem Ranger zu glauben, dass die Viecher so harmlos sind. Und erinnerst dich, im Reiseführer gelesen zu haben, dass Flusspferde jene Tiere Afrikas sind, denen am meisten Menschen zum Opfer fallen. Sehr gemütlich. Und dann schielst du auf den Ranger. Und merkst, dass auch er jedes der Tiere im Auge behält. Aber dann tauchen ein paar davon ab – und du hast keine Ahnung, ob sie nun ihre «Begrüssungszeremonie» abgeschlossen haben oder ob sie gleich unter dir auftauchen und dich in die Luft schleudern.
Mein Ranger kannte sich nicht nur mit Tieren aus, sondern auch mit Menschen. Er muss gespürt haben, dass mir alles andere als wohl war. Und schlug vor, langsam wieder ans Ufer zu rudern. Allerdings nochmals an den Viechern vorbei. An den völlig harmlosen. Nur musste ich mich noch kurz fragen, wieso der gute Mann kurz vor der Mokorofahrt zwölf scharfe Patronen in sein Gewehr geladen hatte. Sonst hatte er nie eine Waffe dabei. Nicht mal bei den Löwen.
Fritz Kleisli, März 2008